„Es kann einfach nicht funktionieren hier zu Weltmarktbedingungen zu produzieren“
Der Hof Tangsehl liegt im Wendland, im Nordosten von Niedersachsen. Hier lebt Gemüsegärtner Daniel Kipping (38) mit seiner Frau Thekla und seinen Kindern Ole und Frida. Gemeinsam mit zwei weiteren Familien bewirtschaften sie 120 Hektar nach Demeter-Richtlinien. Als sie den Hof vor sieben Jahren übernahmen, stellten sie auf Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi) um. Neben Gemüse- und Ackerbau halten sie Milchvieh, Rinder, Schweine und Hühner. Ihre Milch verarbeiten sie direkt zu verschiedenen Käsesorten, Quark und Joghurt. Wir haben mit Daniel über das Modell SoLaWi, die derzeitigen Traktorproteste und seine Wünsche für die EU-Agrarreform gesprochen.
Ihr habt euch für Solidarische Landwirtschaft entschieden – was steht hinter der Idee?
Die Kernidee des Modells Solidarische Landwirtschaft ist, dass das Produkt vom Preis entkoppelt ist. Die Mitglieder unserer SoLaWi bezahlen einen Anteil der Produktionskosten und erhalten dafür einen bestimmten Anteil unserer Produkte – unabhängig davon, wie der Weltmarktpreis oder der Preis beim lokalen Bio-Supermarkt gerade ist.
Das heißt, ihr könnt mit eurer SoLaWi kostendeckend produzieren?
Ja, für uns bedeutet das eine hohe Planungssicherheit. Unser Hof befindet sich auf einem recht sandigen, gemischten Standort. Wir haben teilweise ziemlich feuchtes Grünland und teilweise sehr trockenes Ackerland. Damit ist der Hof nicht wirklich für eine Spezialisierung prädestiniert – aber mit der vielfältigen Produktion und der direkten Vermarktung an die Solidarische Landwirtschaft hat sich das gut entwickelt.
Habt ihr neben der SoLaWi weitere Vermarktungswege?
Ungefähr 10 Prozent des Umsatzes machen wir mit Verkäufen an den lokalen Biohandel, aber unser Hauptstandbein ist die SoLaWi. Darüber hinaus haben wir einen kleinen Hofladen, wo Nicht-Mitglieder Produkte vom Hof beziehen können. Und SoLaWi-Mitglieder, die Milch, Fleisch, Gemüse oder Eier bei uns abholen, können da weitere Naturkostprodukte wie Honig oder Nudeln in Bioqualität dazukaufen. Aber eigentlich sind wir Erzeuger*innen und leben von der landwirtschaftlichen Urproduktion und der Veredelung der Milchprodukte.
Das Höfesterben ist dramatisch, stündlich schließt ein Hof in Deutschland. Wie sieht es bei euch im Wendland aus?
Der Strukturwandel schreitet, wie überall in Deutschland, auch hier voran. Seitdem wir hier wirtschaften, haben schon mehrere Nachbarn für immer ihre Hoftore geschlossen.
Passiert das von einem Tag auf den nächsten oder ist das ein schleichender Prozess?
Als erstes werden immer die Milchkühe abgeschafft. Früher wurde überall Milchvieh gehalten, heute hat sich eine sehr starke Konzentration auf Ackerbauregionen und Milchviehregionen herauskristallisiert. Milchvieh wird nur noch in den Gunstlagen gehalten – in Niedersachsen ist das z.B. das Elbe-Weser-Dreieck – und nicht in den Ackerbauregionen. Hier im Wendland und in der Heide Milchvieh zu halten ist eigentlich ein Auslaufmodell und das macht sich bemerkbar. Das stimmt uns natürlich auch traurig, denn oft sind das noch bäuerliche Betriebe mit 20-30 Kühen, die dann nach und nach aufhören. Und auch das Kulturland verändert sich, wenn keine Tiere mehr auf der Weide stehen.
In Deutschland besitzen immer größere Betriebe immer mehr Land, die Kauf- und Pachtpreise steigen rapide. Merkt ihr das bei euch auch?
Die Kaufpreise haben sich in dieser Region in den letzten 7 bis 10 Jahren verdreifacht. Dementsprechend entwickeln sich natürlich auch die Pachtpreise, bei Ackerland ist das in dieser Region dabei deutlich stärker spürbar als bei Grünland. Im Vergleich zu anderen Regionen in Niedersachsen, etwa im Nordwesten, ist die Situation hier aber nicht so angespannt.
Momentan gibt es viele Traktor-Demonstrationen gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Was denkst du über diese Proteste?
Einerseits begrüße ich es, dass von vielen konventionellen Berufskolleg*innen die Initiative kommt, nicht alles hin zu nehmen, sich auch zu wehren und überhaupt den Schritt zu machen sich zu engagieren. Auf der anderen Seite wäre es für mich undenkbar gewesen, im November mit dem Treckertreck aus der Region nach Berlin zu fahren. Für mich kann es ein „Weiter so“ in der Landwirtschaft nicht geben. Wir brauchen ein grundlegendes Umsteuern – das fordern wir und andere bäuerliche und ökologische Betriebe ja schon lange. Es kann einfach nicht funktionieren hier zu Weltmarktbedingungen zu produzieren. Mein Credo ist: global denken und lokal essen.
Wie ist aus deiner Sicht das Verhältnis von „Land schafft Verbindung“, die die Demos initiiert haben, zu den Spitzen des Bauernverbandes?
Ich finde es erschreckend, dass die Organisation „Land schafft Verbindung“ es nicht schafft, sich wirklich vom Bauernverband frei zu machen. Wenn man die Forderungen des Bauernverbands sieht und seine Verstrickungen in Politik und Unternehmen, haben die Kolleg*innen da eine Interessensvertretung, die sich ihr eigenes Grab schaufelt. Das zeigt sich an den personellen Überschneidungen, etwa durch Aufsichtsratsposten bei der AGRAVIS Raiffeisen AG und anderen großen Agrarkonzernen. Die Konzerne haben natürlich immer ein Interesse daran, die Ware möglichst günstig auf dem Weltmarkt zu kaufen. Das kann doch keine Interessensvertretung für Bäuerinnen und Bauern sein! Ich wünsche mir, dass vielen Kolleg*innen, die da unterwegs sind und protestieren, die Augen geöffnet werden.
Was schlägst du als Alternative zur Produktion für den Weltmarkt vor?
Ich glaube, wir müssen uns mehr auf lokale und regionale Strukturen besinnen und qualitativ hochwertige Lebensmittel produzieren, um als bäuerliche Betriebe bestehen zu können. Es muss aufhören, dass wir möglichst viel Masse zu einem günstigen Preis herstellen und damit versuchen auf dem Weltmarkt mithalten.
Rein rechnerisch zahlen wir alle 114 Euro im Jahr in den EU-Agrar-Fördertopf. Nächstes Jahr wird die Verteilung der Subventionen für die Jahre 2021-2027 beschlossen. Was sollte damit gefördert werden, wenn es nach dir gehen würde?
Die Hauptmenge der Agrarsubventionen wird ja immer noch rein nach bewirtschafteter Fläche verteilt. Dieses Geld muss umverteilt werden, hin zu gesellschaftlich gewünschten Leistungen wie Natur-, Klima- und Artenschutz und die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen, aber auch für regionale Wertschöpfung.
Warum?
Wenn die Höfe aus den Dörfern verschwinden, verschwindet auch das Lebensmittelhandwerk, dann verschwindet der lokale Schlosser usw. Von unserem Gemischtbetrieb leben unsere drei Familien und wir haben rund 10 angestellte Mitarbeiter*innen. Wir sind in unserer Region mit unserer Art der Landwirtschaft auch Arbeitgeber*innen, wir sind Lebensmittelhändler*innen und -verarbeiter*innen. Wir würden uns natürlich wünschen, dass mit dem Geld z.B. artgerechte bäuerliche Tierhaltung gefördert wird und lokale, regionale, ökologische Projekte, die die Landwirtschaftsbetriebe stützen. Und nicht ausgeräumte Landschaften, wo tausende Hektar von wenigen Menschen mit hochmoderner Technik bewirtschaftet werden und sich der Mensch fast selber wegrationalisiert hat.
Ihr seid regelmäßig mit dem Trecker zur „Wir haben es satt!“-Demo im Januar gekommen. Warum ist es euch wichtig als Erzeuger*innen mit den Verbraucher*innen auf die Straße zu gehen?
Wir wünschen uns natürlich einen grundlegenden Politik- und Systemwechsel in diesem Land, ganz speziell in der Landwirtschaft. Und das ist ein Moment, wo wir gemeinsam mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Zeichen setzen können für die Art von Landwirtschaft, die wir uns wünschen – und von der wir denken, sie hat Zukunft. Das ist unsere Motivation zu kommen!
Seid ihr am 18. Januar 2020 wieder dabei? Und könnt ihr uns schon verraten, was auf eurem Treckerbanner steht?
Klar sind wir am 18. Januar wieder mit von der Partie. Außerdem haben wir einen Bus gechartert, damit möglichst viele unserer Mitglieder mit nach Berlin kommen können!
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